Der Oberste Gerichtshof sprach Eltern und ihrer nicht-leiblichen Tochter je 20.000 EUR Schadenersatz für den Seelenschmerz durch die Vertauschung zu.
Der Sachverhalt
Nach über 20 Jahren stellte sich für Eltern heraus, dass die bei ihnen in der Familie als leibliche Tochter aufgewachsene Frau gar nicht mit ihnen blutsverwandt ist, sondern zwischen 31.10. und 01.11.1990, noch vor dem ersten Kontakt, mit der leiblichen Tochter im Krankenhaus vertauscht worden war. Die mittels Kaiserschnitt vorzeitig entbundene leibliche Tochter konnte nicht mehr ausfindig gemacht werden. Im Nachhinein konnten die näheren Umstände dieser Vertauschung nicht festgestellt werden. Seitdem bedrängt das Elternpaar die Ungewissheit, was mit ihrem leiblichen Kind passiert ist und wie es ihm ergangen ist. Auch die nicht-leibliche Tochter beschäftigen regelmäßig derartige Gedanken in Bezug auf ihre Abstammung. Trotz der mittlerweile erfolgten Adoption der mitgenommenen Tochter durch das Paar belastet die Situation alle Beteiligten psychisch massiv.
Die Eltern und die bei ihnen aufgewachsene Tochter klagten daher das Krankenhaus. Sie verlangten den Ersatz der Adoptionskosten und Schmerzengeld (von je 30.000 EUR) für die durch die Kindesvertauschung und die Nachricht hierüber verursachte erhebliche psychische Belastung.
Das Verfahren bisher
Das Erstgericht gab der Klage voll statt. Das Krankenhaus erhob gegen diese Entscheidung jedoch Berufung. Das Berufungsgericht sprach kein Schmerzengeld zu, weil der verursachte Seelenschmerz der Kläger nicht jenem entspricht, der typischerweise mit dem „Verlust“ (Tod, schwerste Verletzung) eines nahen Angehörigen verbunden ist.
Der Kläger wendeten sich an den Obersten Gerichtshof (OGH).
Die Entscheidung
Die Vertauschung ist als schwere Verletzung der Verpflichtungen des Krankenhauses zu beurteilen. Ein Neugeborenes muss unmittelbar nach seiner Geburt ohne jeden Zweifel und jegliche Verwechslung seiner leiblichen Mutter zugeordnet und nach Durchführung der Behandlungs- und Pflegemaßnahmen übergeben werden. Die Krankenanstalt muss hierfür geeignete Vorkehrungen zu treffen, die Kindesvertauschungen ausschließen. Hier gelten wegen der berührten Persönlichkeitsrechte und der Schutzbedürftigkeit der beteiligten Eltern und Kinder äußerst strenge Anforderungen.
Die vorliegende Beeinträchtigung ist mit der Tötung oder schwersten Verletzung eines nahen Angehörigen vergleichbar. Die Vertauschung und – damit verbunden – das Verschwinden des leiblichen Kindes ist geeignet, zu einer schweren Trauerreaktion bei den Eltern zu führen. Gleiches gilt für die durch die Identitätskrise bei dem betroffenen Kind. Grobes Verschulden seitens des Krankenhauses liegt nach jeder denkbaren Variante, wie es innerhalb von nicht einmal 24 Stunden zu der Vertauschung gekommen sein könnte, vor. Daher sprach der OGH den Eltern und der mit ihnen aufgewachsenen Tochter jeweils 20.000 EUR Schmerzengeld zu.
Quelle: 4 Ob 208/17f (zum Zeitpunkt der Veröffentlichung noch nicht im RIS online).